Die toxikologische Risikobewertung von Medizinproduktbestandteilen gemäß ISO 10993-17 ist ein grundlegender Bestandteil der Sicherheitsbewertung von Medizinprodukten. Ziel dieser Norm ist es, eine fundierte toxikologische Bewertung durchzuführen, um das Risiko von gesundheitsgefährdenden Effekten durch die Materialien, aus denen ein Medizinprodukt besteht, zu ermitteln. Dabei wird untersucht, ob die chemischen Bestandteile des Produkts – seien es Kunststoffe, Metalle, Beschichtungen, Additive oder Hilfsstoffe – beim Kontakt mit dem menschlichen Körper schädliche Substanzen freisetzen, die zu Akut- oder Langzeittoxizitäten, Allergien, Mutationen oder krebserregenden Effekten führen könnten.
Die toxikologische Risikobewertung basiert auf einer detaillierten Analyse der Chemikalien, die das Medizinprodukt oder dessen Bestandteile freisetzen können. Zunächst erfolgt eine gründliche chemische Charakterisierung des Produkts, wobei alle relevanten chemischen Substanzen identifiziert werden, die im Material vorhanden sind oder daraus freigesetzt werden könnten, wenn das Produkt in Kontakt mit biologischen Systemen kommt. Hierbei werden nicht nur die Hauptbestandteile des Materials, sondern auch mögliche Verunreinigungen, Abbauprodukte oder Hilfsstoffe, die während der Herstellung oder Nutzung des Produkts freigesetzt werden können, berücksichtigt.
Ein wichtiger Schritt in der toxikologischen Risikobewertung ist die Bestimmung der Freisetzung der identifizierten Substanzen. Das bedeutet, es wird geprüft, in welchen Mengen und über welchen Zeitraum bestimmte Substanzen aus dem Material herausgelöst werden können. Diese Freisetzungsraten werden oft durch Simulationsmethoden ermittelt, bei denen das Material in Kontakt mit biologischen Flüssigkeiten wie Blut, Gewebeflüssigkeit oder Wundexsudat gebracht wird. Ziel ist es, realistische Bedingungen nachzustellen, um die Menge der Substanzen zu bestimmen, die tatsächlich in den Körper gelangen könnten.
Basierend auf den Ergebnissen der Freisetzungsanalyse wird die toxikologische Bewertung durchgeführt, um zu ermitteln, ob die freigesetzten Substanzen in den Konzentrationen, die beim Kontakt mit dem Körper auftreten können, gesundheitsschädlich sind. Hierbei wird eine Vielzahl von toxikologischen Aspekten berücksichtigt, darunter akute Toxizität, chronische Toxizität, Krebsrisiken, Reproduktionstoxizität, Mutagenität und Hautsensibilisierung. Diese Bewertung stützt sich auf vorhandene toxikologische Daten aus wissenschaftlichen Studien, die die Wirkungen von ähnlichen Substanzen in vergleichbaren Dosen dokumentieren.
Wenn für die freigesetzten Substanzen keine ausreichenden toxikologischen Daten vorliegen, müssen Zusatztests durchgeführt werden, um die Sicherheit des Produkts zu gewährleisten. In der Regel handelt es sich dabei um Tierversuche oder In-vitro-Tests, die speziell darauf abzielen, die potenziellen Gesundheitsrisiken der freigesetzten Substanzen zu bewerten. Dazu gehören unter anderem Tests auf Zytotoxizität, Mutagenität, Reproduktionstoxizität und Systemische Toxizität.
Ein zentraler Bestandteil der Risikobewertung ist die Beurteilung der Exposition, also wie viel von einer bestimmten Substanz in den Körper aufgenommen wird. Diese Beurteilung erfolgt auf Basis der Freisetzungsrate, der Dauer und Häufigkeit des Kontakts mit dem Material sowie der Größe der betroffenen Oberfläche (z. B. bei Implantaten oder Kathetern). Wenn die Exposition gegenüber einer Substanz die festgelegten Sicherheitsgrenzen überschreitet, müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, wie z. B. die Änderung des Materials, die Reduzierung der freigesetzten Substanzen oder die Modifikation des Designs des Produkts.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der toxikologischen Risikobewertung ist die Bewertung der Langzeitrisiken. Einige Materialien könnten auf lange Sicht kumulative Toxizität verursachen, selbst wenn sie in geringeren Mengen freigesetzt werden. Daher wird auch untersucht, wie sich wiederholte oder langfristige Expositionen auf die Gesundheit auswirken könnten. Dies ist besonders relevant für Implantate oder Produkte, die dauerhaft oder über längere Zeiträume im Körper verbleiben.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Bewertung ist die Sensibilisierung auf Materialien. Einige Substanzen können das Immunsystem sensibilisieren und bei wiederholtem Kontakt zu allergischen Reaktionen führen. Hierbei wird überprüft, ob das Material die Fähigkeit hat, das Immunsystem zu aktivieren und eine sensibilisierende Wirkung hervorzurufen.
Am Ende der toxikologischen Risikobewertung werden die Ergebnisse zusammengefasst und eine Risikoabschätzung erstellt. Diese bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere von Gesundheitsrisiken, die durch die freigesetzten Substanzen im Produkt verursacht werden könnten. Auf dieser Grundlage können Entscheidungen getroffen werden, ob das Material sicher für den vorgesehenen Verwendungszweck ist oder ob Änderungen notwendig sind, um das Risiko für den Patienten zu minimieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die toxikologische Risikobewertung gemäß ISO 10993-17 ein umfassender und systematischer Prozess ist, um sicherzustellen, dass die Bestandteile eines Medizinprodukts keine gesundheitsschädlichen Effekte auf den Körper haben. Sie berücksichtigt nicht nur die chemische Zusammensetzung und Freisetzungsraten von Substanzen, sondern auch die potenziellen toxikologischen Risiken, die mit der Verwendung des Produkts verbunden sind. Die Risikobewertung hilft dabei, die Sicherheit von Medizinprodukten zu gewährleisten und schützt den Patienten vor möglichen gesundheitlichen Gefahren.