Die Prüfung auf systemische Toxizität gemäß ISO 10993-11 ist eine entscheidende Untersuchung, die sicherstellt, dass Materialien und Medizinprodukte keine schädlichen systemischen Auswirkungen auf den Körper haben, wenn sie über einen bestimmten Zeitraum in den Kreislaufsystem oder in andere Körperregionen gelangen. Diese Prüfung ist ein wesentlicher Bestandteil der Biokompatibilität von Medizinprodukten, insbesondere für Produkte, die in direkten Kontakt mit dem Blutkreislauf oder anderen lebenswichtigen Organen kommen, wie z.B. Implantate, Katheter, Blutkontaktmaterialien oder Inhalationsgeräte. Die systemische Toxizität bezieht sich auf die potenziellen schädlichen Effekte, die ein Material auf Organe, Gewebe oder Körperfunktionen haben kann, die nicht direkt am Implantat oder Kontaktpunkt liegen. Dabei wird geprüft, ob sich das Material oder seine Abbauprodukte nach der Exposition im Körper systemisch verteilen und negative Auswirkungen verursachen.
Der Test auf systemische Toxizität wird in der Regel mit Tieren, meistens Nagetiere wie Ratten oder Mäuse, durchgeführt, da diese als Modellorganismen gut geeignet sind, um die Reaktionen des gesamten Organismus auf ein Fremdmaterial zu simulieren. Das Material oder Medizinprodukt wird entweder direkt in den Körper des Tieres eingeführt oder das Tier wird einer wiederholten Exposition ausgesetzt, je nach Art des Produkts und der vorgesehenen Anwendung. Ziel ist es, die möglichen toxischen Effekte zu erkennen, die durch das Material oder die freigesetzten Substanzen im Körper entstehen können. Diese Effekte könnten Organfunktionsstörungen, Hormonveränderungen, Nervenschäden, Blutgerinnungsstörungen oder andere systemische gesundheitliche Probleme umfassen.
Während der Testphase werden die Tiere regelmäßig überwacht und untersucht, um die Reaktionen auf das Implantat oder den Kontakt mit dem Material zu beobachten. Dabei werden insbesondere klinische Symptome, Verhaltensänderungen und körperliche Veränderungen wie Gewichtsverlust, Lethargie, Atemprobleme oder Veränderungen in der Hautfarbe dokumentiert. Auch Veränderungen in den Vitalfunktionen wie Blutdruck, Herzfrequenz und Atmung können auf systemische Toxizität hindeuten und werden überwacht.
Ein wichtiger Aspekt dieser Untersuchung ist die Blutuntersuchung. Es wird überprüft, ob das Material oder seine Abbauprodukte die Blutchemie beeinflussen. Dies umfasst die Analyse von Blutbestandteilen wie roten und weißen Blutkörperchen, Blutplättchen, Leberenzymen und anderen Biomarkern, die auf toxische Effekte hinweisen können. Abnormale Werte können auf Organschäden oder Veränderungen im Stoffwechsel hindeuten, was auf eine mögliche systemische Toxizität des Materials hinweist.
Zusätzlich zur klinischen und Blutuntersuchung werden auch pathologische Untersuchungen durchgeführt. Das bedeutet, dass nach dem Ende der Exposition Gewebeproben aus den wichtigsten Organen wie Leber, Nieren, Lunge, Herz und Milz entnommen und mikroskopisch auf Schäden oder pathologische Veränderungen untersucht werden. Hierbei wird nach Entzündungsreaktionen, zellulären Schäden oder Abnormitäten in der Gewebestruktur gesucht. Diese Veränderungen können Aufschluss darüber geben, wie das Material im Körper interagiert und ob es schädliche Reaktionen auslöst.
Neben den direkten toxikologischen Untersuchungen wird auch die Langzeitsicherheit des Materials geprüft. Materialien, die über einen längeren Zeitraum im Körper verbleiben oder wiederholt verwendet werden, können im Laufe der Zeit toxische Effekte entwickeln, die nicht sofort nach der ersten Exposition auftreten. Daher wird auch die chronische Toxizität getestet, bei der die Tiere einer kontinuierlichen oder wiederholten Exposition ausgesetzt werden, um sicherzustellen, dass keine kumulativen toxischen Effekte auftreten.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden dann in eine toxikologische Risikobewertung integriert. Hierbei wird geprüft, ob die Menge an freigesetzten Substanzen aus dem Material hoch genug ist, um eine schädliche Wirkung auf den gesamten Organismus zu haben. Wenn die Tests zeigen, dass keine toxischen Effekte auftreten oder nur sehr geringe, nicht signifikante Effekte, gilt das Material als sicher. Wenn jedoch toxische Reaktionen festgestellt werden, werden die genauen Ursachen analysiert, und es können Änderungen am Materialdesign oder an den Produktionsprozessen vorgenommen werden, um die Sicherheit des Produkts zu verbessern.
Zusammengefasst dient die Prüfung auf systemische Toxizität nach ISO 10993-11 dazu, die potenziellen gesamtkörperlichen Auswirkungen eines Materials oder Medizinprodukts zu bewerten, das mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommt. Sie hilft sicherzustellen, dass das Material keine schädlichen Auswirkungen auf Organe oder systemische Körperfunktionen hat und dass es im klinischen Einsatz keine Gesundheitsrisiken verursacht. Diese Prüfung ist ein zentraler Bestandteil der Sicherheitsbewertung von Medizinprodukten und ist entscheidend, um das Wohl der Patienten zu gewährleisten.